Datum: 06.05.2020 Erschienen in: Tagesanzeiger.ch Autor: Martin Sturzenegger
Manche Studierende geben viel Geld aus, um sich ein Diplom zu ermogeln. Einer der erfolgreichstenGhostwriter gibt Einblick in eine verschwiegene Branche. Die Anfrage beim erstbesten Ghostwriter verläuft unkompliziert. Ins Online-Kontaktformular der Firma Ghostwriting Schweiz tippt die fiktive Wirtschaftsstudentin, dass sie weder Zeit noch Musse habe, ihre Bachelorarbeit selbst zu verfassen. Dazu ein paar Eckdaten: Umfang – 60 Seiten, Abgabetermin – kommender Herbst. «Was kostet das?»
Die Antwortmail kommt postwendend: «Für 60 Textseiten in dieser Fachrichtung ist der Preis 3500 CHF», schreibt ein Mitarbeiter. Der Preis erscheint im Vergleich zu anderen Anbietern günstig, die Qualifikation des Mitarbeiters aber zweifelhaft. Er zählt gemäss Website nicht Wirtschaft zu seinen Kernkompetenzen, sondern Geschichte, Germanistik und Deutsch. Die fiktive Studentin wird stutzig, wählt die Handynummer des Mitarbeiters und gibt sich als Journalist zu erkennen. Das Gespräch dauert kaum 20 Sekunden, dann drückt der Mitarbeiter den Anruf weg.
Das Geschäft mit dem Ghostwriting boomt, die Hochschulen sind dagegen machtlos. Denn ein sogenanntes Vollplagiat lässt sich kaum nachweisen. Im Internet preist die Branche ihre Dienste offensiv an. Wenn es darum geht, über das Geschäft zu sprechen, sind die Agenturen in der Regel verschwiegen. Verschiedene TA-Anfragen laufen ins Leere.
Eine Ausnahme ist Thomas Nemet. Er ist Chef der Klotener Firma Acad Write – gemeinsam mit GWriters die wohl grösste Agentur für akademisches Ghostwriting im deutschsprachigen Raum. Der 49-jährige Deutsche gibt Auskunft, möchte aber unerkannt bleiben. Er sitzt in einem Café im Zürcher Kreis 1. Jeans, braunes Jacket, die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen. Für das Foto setzt er sich zusätzlich eine Schutzmaske auf: «Es gibt Menschen, die verurteilen, was wir tun.»
Zwei Gerichtsprozesse liessen Nemet vorsichtiger werden. Im Jahr 2016 reichten die Universitäten St. Gallen und Bern Strafanzeigen gegen die Acad Write ein – erfolglos. Beide Verfahren wurden eingestellt, der Firma konnte nichts Strafbares angelastet werden. «Wir machen nichts Illegales», sagt Nemet. Illegal verhalten sich lediglich die Kunden.
Studierende, die plagiieren, werden von ihren Hochschulen sanktioniert. Im Extremfall droht der Ausschluss von der Universität. Ghostwriting-Agenturen wie Acad Write sichern sich strafrechtlich ab. Die Kundinnen werden schriftlich darauf hingewiesen, dass die Arbeit nur als Entwurf und nicht zur Veröffentlichung diene: «Was der Kunde damit macht, ist alleine ihm überlassen», sagt Nemet.
Nemet hat als Ghostwriter und Unternehmer jahrelange Erfahrung. Schon als Student habe er erste Schreibaufträge erledigt, um sich das Studium zu finanzieren. «Ich merkte schnell, dass sich damit anständig Geld verdienen lässt.» Das war ihm nicht genug. Nemet wollte den Markt mit einer eigenen Agentur erobern. 2004 gründete er in Münster die Acad Write. Seit 2011 ist die Firma mit Sitz in Kloten im Handelsregister eingetragen. Weshalb die Schweiz? «Private Gründe», sagt Nemet.
Seither ging es geschäftlich aufwärts. Rund 1000 Aufträge erhält die Firma mittlerweile pro Jahr, die meisten aus Deutschland, viele aus der Schweiz. Die Acad Write hat zwar nur acht Festangestellte, jedoch ein weit gespanntes Netz von 350 freien Mitarbeitenden in fast ganz Europa. Über Zahlen spricht Nemet ungern. Vor fünf Jahren nannte er in der «Zeit» einen Jahresumsatz von rund zwei Millionen Euro. «Inzwischen ist es etwas mehr geworden», sagt er.
«Die Schweiz vermittelt Sicherheit und Anonymität – wie einst mit dem Bankgeheimnis.»
Marcel Kopper, CEO von GWriters
Ähnlich wirtschaftet die Firma GWriters, der zweite Big Player im europäischen Ghostwriting-Markt und ebenfalls in der Schweiz ansässig. Die Firma hat ihren Hauptsitz seit ein paar Jahren in Zug. «Das hat unter anderem steuerliche Vorteile», sagt Firmenchef Christian Kopper. Und: «Die Schweiz vermittelt Sicherheit und Anonymität – wie einst mit dem Bankgeheimnis.»
Auch bei GWriters gilt die Devise: Möglich ist alles, solange die Bezahlung stimmt. Eine 120-seitige Masterarbeit im Fachbereich Informatik, in einer knappen Frist von 30 Tagen? Das macht dann 25’000 Franken.
Nemet von Acad Write bezeichnet sein Angebot als «virtuellen Lehrstuhl». Dies, weil die Onlinenachhilfe zum Kerngeschäft gehöre, wie er betont. So führe die Firma wöchentlich rund 80 Telefonkonferenzen mit Studierenden, die vom Lernstoff an der Universität überfordert seien. «Wir helfen dort, wo die Lehre der Hochschulen an ihre Grenzen stösst», sagt Nemet.
Im Netz tritt die Firma jedoch vor allem als «Ghostwriting-Agentur» auf. Die Acad Write verspricht ihrer Kundschaft absolute Sicherheit und Anonymität. «Ich weiss von keinem Kunden, der wegen uns Probleme bekommen hätte», sagt Nemet. Es gebe allerdings betrügerische Firmen auf dem Markt, welche die Texte selbst aus Plagiaten zusammensetzten. Das könne zu Problemen führen. «Wir liefern keine Plagiate, sondern Unikate.»
Die Mitarbeitenden hätten alle einen Masterabschluss, darunter befänden sich auch Lehrer und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Sogar ein paar Professoren seien dabei, jedoch nicht aus der Schweiz. «Hier sind die Honorarvorstellungen oftmals horrend», sagt Nemet.
Der Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger beurteilt die rechtliche Lage wie folgt: «Die Ghostwriter-Firmen sind vertraglich abgesichert und damit fein raus.» Das Risiko trage alleine der Kunde. Die Firma nehme sich aus der Verantwortung mit dem Hinweis, dass es sich beim Bestellten um eine Vorlage handle und diese nicht zur Veröffentlichung gedacht sei. «Das ist wie beim Waffenhändler, der den Kunden darauf hinweist, dass er mit gekauften Waffen niemanden erschiessen darf.»
«Das ist wie beim Waffenhändler, der den Kunden darauf hinweist, dass er mit gekauften Waffen niemanden erschiessen darf.»
Anwalt Martin Steiger
Um gegen Ghostwriting-Firmen vorgehen zu können, bräuchte es eine Änderung auf gesetzlicher Ebene. In Deutschland gab es laut Steiger den Versuch, Wissenschaftsbetrug als Straftatbestand einzuführen. «Das hat sich aber nicht durchgesetzt.» Ghostwriting-Firmen gehen weiterhin ungestört ihrem Geschäft nach – moralisch fragwürdig, aber legal.
Ob Nemet bisweilen das schlechte Gewissen packt? «Im Gegenteil», sagt der Unternehmer. Viele seiner Kundinnen und Kunden befänden sich in einer Ausnahmesituation: die Frau, die drei Wochen vor Abgabe ihren Laptop im Zug vergass. Der Mann, der die Diagnose einer tödlichen Krankheit erhielt, jedoch unbedingt noch seinen Abschluss machen will – «wir helfen gerne», sagt Nemet.
Ghostwriting-Agenturen sind ein Problem für die Schweizer Hochschulen. Die Universität Zürich (UZH) verschärfte letzte Woche ihre Disziplinarordnung. Neu darf die Hochschule auch Geldbussen bis 4000 Franken aussprechen. Die Sanktions-Ergänzung dient gemäss UZH-Leitung vor allem der Plagiats-Bekämpfung. «Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus», sagt Prorektor Christian Schwarzenegger.
2018 brachte die UZH ihre Erkennungssoftware für Plagiate auf den neuesten Stand. Seither sei es einfacher, wissenschaftliche Fehlleistungen zu entdecken, sagt Schwarzenegger. Die Maschine sei jedoch in erster Linie darauf ausgelegt, abgeschriebene oder nicht-zitierte Textpassagen zu erkennen.
Eine Betrugsmethode ist für die Hochschule jedoch kaum zu identifizieren: Das Vollplagiat – wenn ganze Bachelor- und Masterarbeiten durch einen Ghostwriter verfasst werden. «Das Vollplagiat ist die beste Fälschung, weil es trotz allem eine Originalarbeit ist», sagt Schwarzenegger.
Ein solches Vorgehen könne den Professorinnen höchstens auffallen, wenn ein Student in einer schriftlichen Arbeit plötzlich durch unerwartete Eloquenz auffällt. Schwarzenegger rät den Professoren deshalb zu enger Betreuung und regelmässigen Orientierungsgesprächen während des Verfassens von Bachelor- oder Masterarbeiten. «Das verstärkt die Kontrolle.»
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